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Inzidenzen des Verschwindens

Prag ist eine magische Stadt und ich werde noch mehr über diese Metropole schreiben, doch zuerst will ich mit einem Thema beginnen, das ich eigentlich vermeiden wollte: Corona. Uuuuäääärgggh, ich weiß. Und doch, es ist mir ein Bedürfnis es zu besprechen.

Als ich nach Praha aufbreche, gibt es eine Inzidenz von 18,5 – in Deutschland ca. 17,5. Ich hätte den November 2020 in Prag verbringen sollen. Wir wissen alle, was geschehen war. Die Inzident von 700 schwimmt in meinem Bewusstsein herum; drei Mal wurde mein Prag-Aufenthalt verschoben. Nun bin ich selbst doppelt geimpft und nehme immer weniger Gefahr wahr – vor allem weniger Gefahr, jemanden anzustecken. Trotzdem möchte ich mich leicht für Unvorsicht rügen.

Beim Durchstreifen der Stadt fiel mir auf, wie viele gewerbliche Räume derzeit Leerstand aufweisen und wie viele Geschäfte ganz simpel und einfach geschlossen haben. Immer noch. Oder, wie mir auch berichtet wurde: geschlossen wurden. Diese Pandemie ist anstrengend und nervt, natürlich! Doch ich sehe gerade in Prag, wie sehr sie die Infrastruktur und das Angebot der Städte verändert. Ich bin nach Prag aufgebrochen, kurz nachdem in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main Lockerungen Anwendung fanden. Ich habe Angst heimzufahren und dann erst zu realisieren, wie viele Geschäfte, Lokale, Restaurants, Kneipen, Clubs, Bars es nicht mehr gibt. Puh. Und das gar nicht, weil ich Angst vor Veränderung habe, sondern Angst vor dem Verschwinden.

Dann laufe ich über den Platz der Alt-Stadt Prags. Die Astronomische Uhr wird vom Tod geläutet. Auf dem Boden unweit davon prangen weiße Kreuze samt Namen und Daten. Alle sind sie an Corona gestorben. (Die MIT-Debatte führe ich nur noch mit Ohrfeigen, melden Sie sich bitte an.)

Ich sehe die Namen und denke die Inzidenz von 18,5. Das sind die Gesundeten und die Toten. Wir werden die Gesundeten schon bald behandeln als wäre nichts gewesen; wir Menschen können das gut. Die Toten beginnen wir loszulassen. Ich fürchte das. Wenn wir uns nicht mehr der Toten erinnern – wer dann?

Ich sehe die weißen Kreuze und weine ein wenig, ich bin ehrlich. Ich weine ein wenig für die Namen, die noch gegen die Zeit durchschimmern. Und dann läutet der Tod die Uhr. Es ist 17 Uhr. Das Stundenglas rinnt uns durch die Hände.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle aufhören. Am Vltava-Ufer (Moldau-Ufer), diskutierte ich jedoch nachts drauf mit fünf Menschen über die Corona Impfung. Eine tschechische Künstlerin merkte an, dass man bei dieser Debatte immer angeschrien wird, es wäre so emotional, das ließe sich mit nichts vergleichen, die Leute würden immer gleich so schreien. Und auch ich schrie. Wieso müssten wir so emotional diskutieren, wenn es eine individuelle Entscheidung wäre, fragte sie. Wir werden zu Antagonisten.

Einige argumentierten, dass sie sich nicht impfen lassen wollen, weil sie sich regelmäßig testen lassen. Und zu dem wollen sie keinen derartigen Eingriff in ihren Körper. Dies wäre immerhin eine individuelle Entscheidung und das solle respektiert werden. Ein Eingriff in den Körper – Ich zeigte auf die Person, auf ihr Bier und sagte: jedes getrunkene Bier ist ein Eingriff in den jeweiligen Körper.

Pro Choice – Pro Life.

Ich hüte mich vor dem Vergleich, will ihn gar nicht ziehen, aber er drängt sich mir auf. Wir diskutieren und schreien uns irgendwann an. Jemand geht kurz von dem Grüppchen weg, weil die Person sich der Intensität der Auseinandersetzung nicht aussetzen möchte. Weil die Emotionen überwältigend sind. Weil die Stimmen sich erheben. (Ich habe den Pro-Life Vs. Pro-Choice Gedanken nicht geäußert und keine fünf Minuten später diskutierten die anderen aus dem Grüppchen, wann Leben beginnt. Ich schätze, mit dem Bewusstsein der Sterblichkeit fragen wir uns nach dem Beginn.)

Ich bin geimpft. Ich habe mich impfen lassen, um meine pflegebedürftige Mutter nicht anzustecken und niemand aus meinem Freundeskreis zu gefährden. Aber die Impfung wäre doch ein Eingriff und man könnte ja trotzdem weiterhin jemanden anstecken, werden mir als Gegenargumente entgegengebracht. Jemand merkt klug an: In unserer Zeit sind alle Wissenschaftler*innen. Was für eine Zeit, als dieser Berufsstand noch Respekt erfuhr, schwärmt diese Person. Heute nehmen alle ihr Telephon zur Hand und wissen sofort, was zu glauben ist.

Am Ende bleiben wir bei der Debatte: Individuum Vs. Gesellschaft. Es bleibt keine Antwort. (Ge)Denken wir gemeinsam. Weiße Kreuze. Daten. Inzidenzen verschwinden, und sie bereiten mir auch dabei Angst. Nur wir können all der Toten gedenken.

Eigentlich ist das schon Depression

Ich weiß, wir stecken alle in dieser misslichen Lage. Und irgendwie schreibe ich diesen Satz direkt am Anfang, weil ich mein Leid kleinreden möchte. Ich hab‘s ja gar nicht so schlecht, denke ich. Ich nehme mich zurück und nehme meine eigenen Gefühle nicht so wichtig. Und ich nehme mich gern zurück, aber ich kann darin auch verschwinden.

Ich steck(t)e emotional in einer Krise. Es ist schwierig zu sagen, wann man die Querelen mit den eigenen Emotionen überwunden hat. Ich zweifle stark an mir selbst und an meinem Schreiben. Und ein großer Grund dafür ist tatsächlich die Pandemie. Ich war sehr produktiv, doch fehlt mir der Austausch. Es geht beim Schreiben eben nicht nur ums Schreiben, Binsenweisheit geschenkt. Aber es fehlt das Treffen anderer Autor*innen. Es fehlt das neue Texte auf die Bühne bringen. Das Diskutieren über neue Texte, das Hören anderer Stimmen…Es ist eine Form von Anerkennung, die ich mir nicht selbst geben kann. Und doch halte ich den Lockdown für unheimlich wichtig, weil eine Pandemie eben nicht mit Lust zu besiegen ist. Aber für alles Lustige müssen wir es zusammen überstehen.

Gerade gibt es auch so viele gesellschaftliche und politische Belange, zu denen ich auch einfach nichts Kritisches oder Kluges beitragen kann. Und so bleibe ich bei mir und mache mir das zum nächsten Vorwurf.

Selbstzweifel und Reflexion sind seltsam Verwandte. Sind es Stiefgeschwister? Ich ziehe sonst sehr viel Inspiration aus dem Hinterfragen meiner eigenen Arten und Denkweisen. Aber ich muss gestehen, dass ich viel zu häufig dachte: Ich bin kein guter Autor. Ich weiß nicht, wie sich das in meinen mentalen Zustand eingeschlichen hat, aber es nagt an dem, was ich generell tue und liebe zu tun. Das zersetzt mich etwas. Und es fällt mir dann auch schwer Hilfe zu suchen, denn Schwäche zugeben ist sonst meine Stärke, aber, wenn‘s ans Fundament geht, wackelt eben alles. Und macht mir Angst.

Ich suche hier wirklich keine Komplimente (du versuchst dir doch nur so einige Schulterklopfer abzuholen, sagt es scharfzüngig in meinem Kopf). Doch ich halte es für wichtig diese Zustände anzusprechen. Der nächste Zweifel ist: braucht jemand meinen Senf wirklich? Aber wenn ich das der dominante Gedanke werden würde, würde ich nur noch schweigend durch die Welt laufen.

Es fällt mir schwer auszudrücken, was ich sagen will, weil ich fürchte, dass ich nur wie ein Meckerzausel klinge. Es ist schwer. An manchen Tagen denke ich, dass mein Tun sinnlos ist. An anderen mein Sein. Und es ist so verflucht egozentrisch. Ich denke nie, dass andere Menschen es sind. Ich habe über die Jahre viele Methoden gefunden, mich aus dem Sumpf voller Selbstzweifeln zu ziehen. Jedoch ist ein gewisses Maß an Isolation grade sehr anstrengend. Tatsächlich hilft mir das Schreiben. Aber immer allein mit dem Schreiben zu bleiben, wird giftig für mich.

Ich empfinde mein Schaffen in den giftigen Momenten als absolut sinnlos und doch ist das Arbeiten und Schreiben gerade das, was mir Freude bereitet, was mich glücklich macht und im besten Falle auch mit anderen verbindet.

Wir sind nicht allein. Ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der diese Losung braucht. Und eigentlich habe viele meiner Texte aus dieser Haltung herausgeschrieben: Ich will im Dunkel für Menschen eine Hand sein, die ihnen gereicht wird. Vielleicht, weil ich selbst häufig solche Hände in Anspruch nehme.

Es fällt mir schwer, dass alles öffentlich zuzugeben, nur ist es glaube ich ebenso wichtig, diese Seite des menschlichen Lebens sichtbar zu machen. Dass es Menschen gibt, denen es mental nicht gut geht und die meisten von uns machen weiter und weiter. Und manchen hilfts und manche gehen zu Grunde daran. Es gibt immer einen Weg, auch, wenn man ihn nicht sieht. Es gibt Hilfe, auch wenn man sich verloren fühlt. Tatsächlich hat es mir viel geholfen mit Menschen zu sprechen, die das Leben komplett anders sehen als ich. Denn man selbst zu sein, ist eben auch nur man selbst zu sein. Relativierung ist keine Heilungsmethode, aber diverse Perspektiven nachvollziehen zu können, ändert den Blick auf einen selbst.

Ich habe eine Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Beschäftigung. Und das obwohl ich gerade so viel Kraft und Zeit brauche, um mich zu erhalten. Oder gerade deswegen.

Ich bin wieder glücklicher mit meinem Schreiben. Und hoffe, dass es gut ist.

Ich hoffe, dir, Mensch, geht es gut.

Zum Abschluss ein neues Gedicht.

mich will jedes # plus eins & macht die bedeutung breit

#smartphonechallenge –

ich schaffe es, ein ganzes zu verschlingen

wenn ich mir auf die zunge beiße

bewerte ich immer noch reste auf ihre essbarkeit

es ist einfach jemand als lungernd zu verurteilen

wenn er hungernd versucht

niemandem etwas wegzunehmen

was ist das für ein machtkampf

bei dem twitter wikipedia verschlingt

aber ich bin mitten drin, wenn ein dealer mich bittet

etwas bei ihm zu kaufen, weil er jetzt familie hat

ich liebe alle menschen, die mich lieben

auch wenn sie mich nicht sehen

dabei verfolgt mich schon länger das gefühl

ein clickbait zu sein

an irgendeinem tag, wird die bedeutung

sich selbst verlieren & ich werde sie liegen lassen

auch, wenn sie mich anjault, sie anzufasen

ich wasche mich nur noch mit abwasser

weil es mir nichts wegnimmt